Patient beim Sterben helfen - Möglichkeiten


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Seri
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Patient beim Sterben helfen - Möglichkeiten

Beitragvon Seri » Do 5 Jul 2018 18:13

Hallo zusammen

Bei meinem Vater wurde vor dreieinhalb Jahren Lungenkrebs diagnostiziert. Bis zum letzten Sommer war alles entsprechend den Umständen relativ gut. Wir hatten Hochs und Tiefs aber das kennt ihr ja... Dann wurde ein Tumor im Kopf entdeckt. Er wurde zwei Mal operiert und hat es eigentlich gut überstanden. Seit Anfang dieses Jahres geht es jedoch bergab. Er wird immer verwirrter und mittlerweile kann man fast kein klares Gespräch mehr mit ihm führen.

Seit ungefähr zwei Wochen kommt es immer wieder vor, dass er sogar mitten in der Nacht die Wohnung verlassen will um irgendwelche Besorgungen zu machen. Grundsätzlich findet er den Heimweg immer wieder wenn er dann wirklich mal loszieht (tagsüber, in der Nacht lässt meine Mutter ihn nicht alleine gehen). Nun hatte er noch eine Lungenentzündung und ist dadurch auf die Palliativstation eingewiesen worden. Auch dort hat er jedoch so häufig seine Ausflüge unternommen (trotz der Lungenentzündung) dass die Verantwortung für die Klinik nicht mehr tragbar war. "Festbinden" konnten sie und wir ihn nicht, da er noch als Handlungs- und Urteilsfähig eingestuft ist (hätten wir natürlich auch nicht gemacht). Daher wurde er dann in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Dies nicht aus dem Grund, dass wir ihn nicht zu Hause haben wollen, sondern weil es für meine Mutter emotional so sehr eine Belastung ist immer in Angst um ihn zu sein, dass sie mittlerweile schon fast selbst krank ist; sie pflegt ihn auch schon seit den Dreieinhalb Jahren.

Meine Frage ist nun folgende:
Seit dieser Einweisung ist mein Vater so traurig ( also eigentlich seit rund zwei Wochen aber in den letzten Tagen ist es noch viel schlimmer geworden). Er spricht so oft davon nur noch sterben zu wollen und weint oft. Er sagt dies aber immer nur uns, nie den Ärzten. Dadurch, dass er oft so verwirrt ist weiss ich aber nie wie ernst ich das nehmen muss. Wir möchten ihn eigentlich nicht in der Psychiatrie sterben lassen und haben uns nun die Frage gestellt was die beste Lösung wäre. Seine Lebensqualität ist in diesem Zustand gleich null da man ihn wirklich fast einsperren muss. Nur zur Erklärung als Beispiel, er ist letztens um sieben Uhr morgens aus dem Spital gezottelt und um dreizehn Uhr zu Hause aufgetaucht (er hat im Treppenhaus gesessen, im Trainingsanzug und den Pantoffeln). Er weiss aber nicht mehr wo er war und ist auch eigentlich viel zu schwach für solche Ausflüge.

Sollen wir nun seinen Wunsch erfüllen und beispielsweise die Medikamente absetzen lassen und ihn mit nach Hause nehmen und sterben lassen? Wie machen das andere in solchen Situationen? Ich fühle mich bei dem Gedanken wie wenn wir über seine Daseinsberechtigung entscheiden. Andererseits hat er es so viele Male erwähnt ich weiss aber nicht wie bewusst und gewollt. Es bricht mir jedes Mal das Herz ihn so zu sehen. Er lebt völlig in einer anderen Welt und ist in dieser Welt so sehr traurig. Eigentlich möchten wir ihm das gerne ersparen.

Danke für eure Erfahrungen und Meinungen.

Rita

Re: Patient beim Sterben helfen - Möglichkeiten

Beitragvon Rita » Di 10 Jul 2018 14:59

Hallo Seri
Sie schildern eindrücklich die Situation Ihres Vaters und Ihrer Familie. Vor dreieinhalb Jahren wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert. Seitdem haben Sie viel zusammen erlebt.

Wie Sie schreiben: Manchmal kommen Angehörige an einen Punkt, an dem die Pflege des geliebten Menschen ihre eigenen Kräfte und Möglichkeiten übersteigt. Gemeinsam haben Sie nach Lösungen gesucht. Die praktikable Lösung war / ist die Psychiatrie.

Es kommt vor, dass wir so sehr mit den Problemen, die sich im Alltag unmittelbar stellen beschäftigt sind, dass wir uns nicht mehr an darunterliegende Gefühle, Gedanken und Hoffnungen heranwagen.

Als Pflegefachfrau möchte ich Sie darin bestärken: Es ist wichtig die eigenen Bedürfnisse und die der anderen ernst zu nehmen. Dies umfasst, diese für Wahr zu nehmen (wahrnehmen) und ihnen so gut es geht Namen zu geben (benennen) - im Bewusstsein, dass alles im Fluss ist. Der nächste Schritt ist diese Bedürfnisse anderen Personen mitzuteilen beziehungsweise diese zu erfragen. Hilfreich könnten folgende Fragen sein:
- Was ist dein Wunsch?
- Was brauchst du?
- Was ängstigt dich?
… und nochmals
- Was ist dein Wunsch?

Können Sie sich vorstellen sich, Ihrem Vater und Ihrer Mutter Fragen dieser Art zu stellen?

Es gibt Phasen im Leben, in denen Bedürfnisse schwer miteinander zu vereinen sind. Meiner Erfahrung nach kann es sinnvoll sein, aktiv nach Hilfe von Fachpersonen zu suchen. Doch welche könnten in Ihrer familiären Situation die passenden sein? Sprechen Sie das aktuelle Behandlungsteam an: Bei welchen Fragen können diese Ihnen und Ihrer Familie weiterhelfen, welches Netzwerk besteht vor Ort? Hat Ihr Vater, Ihre Familie ein engen Bezug zu einer Hausarztpraxis, Seelsorge? War Spitex und Palliative Care zuhause schon ein Thema? Kennen Sie die Palliative Hotline?

Ihr Vater hat einen grossen Drang zu gehen. Kann er darüber erzählen, wohin es ihn zieht? Welchen Stellenwert hat der Bewegungsdrang? Wie beängstigend ist für Sie als Angehörige, wenn er alleine rausgeht, seinem Drang nachgeht? Wie stark ist seine Äusserung, dass er sterben möchte und dass er weint an den Umstand gebunden, dass er nicht raus kann?

Sie schreiben, wie tief traurig er auf Sie wirkt. Trauer kann eine Reaktion auf einen Verlust sein. Trauer kann auch mit Blick auf einen drohenden oder bevorstehenden Verlust entstehen. Wenn ein Mensch traurig ist, braucht er am allermeisten Menschen, die ihm zeigen, dass sie seine Trauer sehen und im weiteren auch Trost. Eigentlich ist es auch mit einem an Lebensjahren reichen Menschen wie ihrem Vater nicht anders als mit einem weinenden Kind: Versuchen Sie ihn zu trösten oder überlegen Sie, von wem er dies annehmen könnte. Das bringt die Trauer nicht zum Verschwinden. Denn wir können einem Menschen seine Trauer nicht abnehmen oder ersparen. Aber es lindert sie und verbindet mit anderen Menschen – der Trauernde ist weniger allein. Sie erleben Ihren Vater als in einer anderen Welt. Worte treten dann oft in den Hintergrund – direkte Gefühlsäusserungen und Gesten sind umso wertvoller. Auch zusammen weinen ist erlaubt.

Zur Fragen nach den Medikamenten: Kommt der Wunsch von Ihrem Vater, diese nicht mehr einzunehmen, ist es wichtig, darauf einzugehen. Sprechen sie die Pflegenden der Station sowie die zuständige Ärztin / Arzt darauf an. Verweigert er Medikamente? Nimmt er diese widerwillig? Welche Ängste und Wünsche äussert oder zeigt er gegenüber den Pflegenden auf Station? Wie erleben diese ihren Vater insgesamt?

Jemanden gehen zu lassen, hat verschiedene Bedeutungsebenen. Sie und Ihre Mutter haben ein stückweit den Vater wie er war bereits verloren. Und doch ist er noch da. Dass Sie dieser stufenweise Verlust schmerzt und es Ihnen im Herzen weh tut, ihren Vater in seinem aktuellen Zustand zu sehen ist nachvollziehbar.

Es gibt kein Richtig oder Falsch, nur Schritt für Schritt. In diesem Sinn hoffe ich, Sie finden gemeinsam gangbare Wege …

Vielleicht mögen Andere von Ihren Erfahrungen berichten und Sie weiter Ihre Erfahrungen mit uns teilen.

Viele gute Wünsche
Rita
Moderatorin Krebsforum

Seri
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Re: Patient beim Sterben helfen - Möglichkeiten

Beitragvon Seri » Mi 11 Jul 2018 20:41

Hallo Rita

Vielen Dank für die Rückmeldung. Wir haben ihn nun mittlerweile nach Hause geholt, da er die Medikamente verweigert hatte und nichts mehr gegessen und getrunken hatte. Da er so traurig war und wir davon ausgehen mussten dass das nur noch ein paar Tage so weitergehen wird wenn er weiterhin nichts isst und trinkt wollten wir dass er wenigstens an einem Ort sein kann an dem er gerne ist.

Wie sie auch schreiben, hat uns auch der Pfleger in der Psychiatrie gesagt, er vermute, dass er sein Schmerz und seine Trauer darin verarbeite indem er raus geht. Dass er nun "eingesperrt" sei mache es eher schlimmer als besser.

Nun hat er zu Hause seine Medikamente wieder genommen, gegessen und getrunken und kaum war er etwas fitter ist er wieder losgezogen. Meine Mutter hat ihm gesagt, dass er seine Kräfte einteilen soll, sich früh genug auf den nach Hauseweg machen soll, damit er zum Mittagessen wieder zu Hause ist. Oder wenn er nicht mehr nach Hause laufen mag solle er sie anrufen und sie hole ihn ab. Er hat ihr dies dann bestätigt, ist dann aber trotzdem anstelle von 12.00 Uhr erst um halb zwei gekommen. Wir hatten ihn auch mehrmals auf dem Handy angerufen, ihn jedoch nicht erreicht. Er sagte uns dann er hätte es schon klingeln gehört, hätte aber nicht gewusst was das sei (er kann eigentlich sein Handy schon bedienen).

Er findet eigentlich den Weg zurück immer, aufgrund seines körperlichen Gesundheitszustandes wissen wir aber nie ob er es auch wieder zurück schafft. Und wenn er dann Stunden unterwegs ist, ist immer diese Ungewissheit da ob es ihm gut geht oder nicht. Vor allem weil er schon so oft gestürzt ist, dass er mittlerweile an beiden Armen immer wieder genäht werden musste.

Für meine Mutter ist dies einfach kein Zustand mehr, diese ständige Angst und irgendwie wissen wir auch nicht recht was wir tun sollen, da wir ihn ja eben nicht einsperren können. Dazu kommt dann wieder dieses Thema, dass es ihm am Morgen gut geht, er loszieht und wenn er zurück ist, ist er mit den Kräften so am Ende, dass er wieder sagt er wolle nur noch sterben.

Danke fürs "zuhören".

Gruss
Seri


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